Verlorene Hunde Andalusiens

7:00 Uhr. Die Sonne schiebt sich langsam über den Horizont des Mittelmeeres und färbt alles in ein orangefarbenes, warmes Licht. Die Luft ist kühl, doch seidenweich. Vögel zwitschern in den jahrhundertealten Eukalyptusbäumen. Leises Fiepen ist vor Joliens Fenster zu hören. Die Welpen wollen Aufmerksamkeit. Sobald man die Tür öffnet, wird man von freudigem Schwanzwedeln und Bellen begrüßt. Lächelnd macht sich Jolien auf den Weg zu ihrer Küche, um ihren morgendlichen Kaffee zuzubereiten. Mit einer dampfenden Tasse setzt sich die holländische Tierschützerin an den Tisch. Bambi, die alte Hundedame, springt auf ihren Schoß, um gestreichelt zu werden. Nach ihrem Kaffee fängt Jolien an die 25 Hunde zu füttern. „An die Arbeit.“

 

Jolien Pastoors arbeitet für die holländische Organisation „AROS Foundation“, welche sich für den Tierschutz in Andalusien einsetzt. Sie retten Hunde von den Straßen oder nehmen sie auf, wenn ihre Besitzer sie nicht mehr halten können und vermitteln sie im besten Fall nach Holland. Dort können sie dann in ihr neues Leben starten. Zwischen 20 bis 25 Hunde hat die Tierschützerin zu jeder Jahreszeit auf ihrem Grundstück. Daneben noch rund 15 Katzen. Die Organisation wurde von einer Freundin Joliens vor rund drei Jahren ins Leben gerufen, nachdem diese privat angefangen hatte, im Fischerort Almayate Hunde aufzunehmen.

 

Andalusien ist für seine vielen Straßenhunde und die allgemein schwierige Situation aufgrund der Misshandlungen und dem Aussetzen vieler tausender Hunde bekannt. Es ist kompliziert, akkurate Zahlen zu finden, da es von Seiten der Polizei oder Regierung kaum Aussagen dazu gibt. Die spanische Tierschutz Partei „PACMA“ hat berichtet, dass jährlich rund 150.000 Hunde ausgesetzt werden und bis zu 200.000 Tiere eingeschläfert werden.

 

Hetzjagten – Jahrhundertale Traditionen

 

Da die Hasenjagd, vor allem die Hetzjagd, ein fester Bestandteil der andalusischen Traditionen ist, halten sich viele Jäger Galgos, spanische Jagdhunde. Im Regelfall kommen auf jeden Jäger mindestens zwei Jagdhunde. Nach einer Saison, welche vom 1. Oktober bis zum 30. Januar dauert, entledigen sich die meisten Jäger ihrer Hunde, da sie sich die Kosten der Fütterung und Versorgung der Tiere sparen wollen. Obwohl die Hunde meist mindestens zweimal pro Woche mehrere Kilometer über Felder für sie gerannt sind, haben die Jäger offensichtlich keinerlei emotionale Bindung zu ihren Jagdgefährten.

 

Spanien ist das einzige EU-Land, in welchem die Hetzjagd mit Hunden noch erlaubt ist. Obwohl sich Tierschützer seit Jahren für das Verbot dieser altertümlichen Tradition einsetzen, gab es noch keine großen Erfolge. Was sie erreicht haben, ist, dass einige Jäger ihre Hunde im Tierheim abgeben, wenn sie keinen Nutzen mehr für sie haben, anstatt der sonst üblichen Methode des Aufhängens. Galgos werden meist mit einem Strick an einem Ast aufgehängt, bevor sie das Alter von vier Jahren erreicht haben. Hunde, die gute Leistungen erbracht haben, werden hoch gehängt, damit sie schnell sterben. Doch diejenigen, welche die Erwartungen der Jäger nicht erfüllten, werden so aufgehängt, dass ihre Hinterpfoten den Boden berühren. Beim sogenannten „Piano spielen“ kämpfen diese Tiere so lange um ihr Leben, bis ihnen die Kraft ausgeht.

 

Aufgrund der großen Zahlen von Jagdhunden, die ihren Haltern nicht mehr nutzbringend erscheinen, sind die Tierheime mit ihnen überflutet. Teilweise konzentrieren sich Organisationen nur auf die Rettung dieser aussortierten Galgos.

 

Helfende Hände und umsorgte Vierbeiner

 

Im Tierheim „Sociedad protectora de animales y plantas de Málaga”, welches in einem Randbezirk der andalusischen Stadt Málaga liegt, werden alle Hunderassen aufgenommen. Auch hier sitzen aufgrund des Verhaltens der Jäger viele Galgos in den Zwingern.

„Sie machen den größten Teil der Neuzugänge aus“, sagt Carmen Manzano, die Leiterin des Tierheims. Im Durchschnitt haben sie 1.000 Tiere in der Protectora, vom Hamster bis hin zur Dogge. Die 13 Mitarbeiter, darunter Tierärzte und Putzkräfte, sowie die 200 Freiwilligen kümmern sich jeden Tag um all diese Tiere.

Im Jahr 2019 haben sie 1.398 Hunde aufgenommen. Davon wurden 972 von Privatpersonen gebracht, 112 von der örtlichen Polizei, 244 wurden aus den Tötungsstationen gerettet und die restlichen 70 waren Hunde, welche nach ihrer Adoption wieder zurückgebracht wurden.

Auch wenn diese Zahlen sehr hoch sind, so muss man auf der anderen Seite jedoch in Betracht ziehen, dass 1.216 Hunde das Tierheim verlassen haben. Sei es, weil sie adoptiert wurden, oder weil sie aufgegriffen und dann von ihren Besitzern wieder abgeholt wurden.

 

„Für jeden Hund, der unsere Protectora verlässt, kann ein neuer kommen, welchem wir ein besseres Leben bieten können“. Dies sind die Worte der freiwilligen Helferin Beatriz Barea, welche selbst seit 6 Jahren dort arbeitet. Sie möchte, dass die Andalusier verstehen, dass „Hunde keine Dinge sind, denn sie haben Gedanken und Gefühle“.

Die Situation in Andalusien verändert sich „sehr langsam und unzureichend“. Menschen werden in Bezug auf die Misshandlung der sensiblen Tiere nicht genügend aufgeklärt, findet die Leiterin des Tierheimes.

 

Die letzte Station

 

Hunde, welche auf der Straße gefunden werden, kommen in die sogenannten Perreras, die Tötungsstationen. In diesen privat oder staatlich verwalteten Stationen herrschen oft katastrophale Zustände. Die verängstigten Hunde werden in kleine Betonzwinger gesteckt und sitzen dort teilweise tagelang in ihren eigenen Exkrementen. Per Gesetz ist es erlaubt, Hunde, deren Besitzer man nicht ausfindig machen kann, nach 10 Tagen zu erlösen. Wenn jedoch ein Besitzer seinen Hund selbst in die Station bringt, kann er sofort eingeschläfert werden. Im Regelfall verbringen Hunde nicht mehr als 20 Tage in solch einer Tötungsstation. Tierschützer versuchen so viele Tiere aus den Stationen zu retten, wie es ihre Kapazitäten zulassen. „Das Bewusstsein der Menschen muss geschärft werden, sie müssen sehen, in welchen Zuständen die Hunde dort leben“, meint Carmen Manzano. „Sie müssen schockiert werden, um aufzuwachen und endlich gegen die Misshandlungen vorzugehen.“

 

Andalusien ist eine der ärmsten Regionen Spaniens und dies spiegelt sich auch in der Haltung der Tiere wider. Viele Menschen haben keinen Hund, um ihn als Haustier und Familienmitglied zu halten. Sie sind Arbeitstiere, Schutz- oder Wachhunde. Die Tiere haben einen Zweck. Diese Ansicht wird vor allem in den ländlichen Gegenden vertreten. Hier muss der Hund etwas dafür tun, dass er Futter oder einen Schlafplatz bekommt. Auch wenn dieser oft sehr ärmlich ausfällt. An Stricke oder Ketten angebunden, verbringen sie ihr Leben. Meist mit Essensresten und Brot gefüttert.

Doch werden auch viele auf der Straße lebenden Hunde von Menschen gefüttert, die es sich leisten können. Oft Ausländer, Deutsche, Engländer oder Holländer. Sie haben zumeist eine respektvollere Haltung gegenüber den Tieren, da sie es aus ihren Heimatländern so gewohnt sind. Andalusier sind in vielen Fällen einfach zu arm, um sich angemessen um ihre Tiere kümmern zu können. Futter- und Tierarztkosten sind hoch und mit der hohen Arbeitslosigkeit in Südspanien haben die Menschen nicht die Mittel dafür. Andere wollen schlicht kein Geld für ihre Tiere ausgeben.

 

Vollendete Tatsachen

 

Im Jahr 2017 gab es einen großen Skandal in der kleinen Stadt Puerto Real, im Bezirk Cádiz. Dort wurde der Stadt vorgeworfen, dass die von ihnen angestellten Hundefänger mit unnötiger Grausamkeit vorgehen und wesentlich zu viele Tiere einschläfert haben. Angeblich sollen sie in einem Jahr 566 Tiere getötet haben. Diese Nachricht hat eine Welle an Fassungslosigkeit und Wut ausgelöst, durch welche mehr Tierschützer wieder auf die Kastration der auf der Straße lebenden Tiere zu sprechen kamen.

Das Kastrieren der Hunde ist nicht sehr verbreitet in Spanien. Die Menschen denken oft nicht darüber nach, dass ihre Hündinnen jedes Jahr werfen können. Anstatt sie kastrieren zu lassen, entledigen sie sich lieber der Welpen. Ausländische Tierschützer führen seit Jahren Kastrationsaktionen durch, bei welchen sie Hunde einfangen und kastrieren, um sie danach wieder freizulassen. Ihr Ziel ist es einen Großteil zu kastrieren, damit die neue Generation an Hunden drastisch verkleinert wird. „Keine Welpen, bedeuten weniger Tiere, welche zu uns ins Tierheim kommen.“ In der Sociedad werden alle Tiere kastriert, um zu garantieren, dass sie keine ungewollten Welpen auf die Welt bringen.

 

Durch die Arbeit der spanischen und ausländischen Tierschützer haben die Hunde seit ein paar Jahren die Chance bekommen, aus den Perreras herauszukommen. Zuvor hat man in den Tötungsstationen kein Interesse daran gehabt, Hunde zu retten. Bei der Frage, warum viele ausländische Organisationen spanische Hunde retten, statt der Tiere in ihren Heimatländern, sagt Frau Pastoors, dass die Tiere in den spanischen Perreras „vom Tod bedroht sind“. Oft werden sie nach 72 Stunden eingeschläfert, wenn sie niemand herauskauft.

 

Jedes Leben zählt

 

Im Fall der Aros Foundation sind es nicht so viele Neuzugänge, da die Kapazität hierfür nicht ausreichen würde. Doch auch diese Hunde machen Arbeit und kosten Geld, welches über Spenden in die Organisation fließt. Als Pate kann man monatlich einen Betrag spenden, damit die Tiere immer gut versorgt sind. Einen großen Faktor spielen auch die Tierarztkosten. „Im Regelfall bin ich zweimal die Woche beim Tierarzt. Für Impfungen, Injektionen oder andere medizinische Notfälle.“ Die Tage sind hektisch und die vorher gemachten Pläne werden oft über Bord geworfen, wenn wieder ein Anruf kommt, dass jemand „Welpen in einem Müllcontainer gefunden hat“. „Jeder Tag ist anders, das ist, was ich so an dieser Arbeit liebe. Ich weiß, dass ich einen Unterschied im Leben dieser Tiere mache.“

 

22 Uhr. In der sternenklaren Septembernacht schaut Jolien bei den fünf Wochen alten Welpen vorbei, um noch einmal zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist. Der Vollmond leuchtet ihr den Weg über die weißen Kieselsteine. Bei jedem Schritt knirscht es leise unter ihren schwarzen Flip-Flops. Nachdem sie die jungen Hunde in ihre Bettchen gelegt hat, geht sie auf die Terrasse, um die warme Spätsommernacht zu genießen. Mit einem zufriedenen Lächeln lehnt sie sich auf ihrem Stuhl zurück und nimmt einen Schluck des eiskalten Weißweines. Um sie herum liegen schlafende Hunde. Mit einer liebevollen Geste streichelt sie der neu dazugekommenen Hündin über ihren breiten Kopf. Ein weiterer Tag im spanischen Süden geht vorbei und viele ereignisreiche Neue warten bereits auf sie.

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